27.12.2021

Sehr langer Originaltext von 1969

„Mit dem Latein am Ende"


Quelle: Der Spiegel, Hefte 26...42 / 1969


23.06.1969

Heute wird gern totgesagt: die Ehe, das Parlament, Opas Kino, der liebe Gott und auch die Universität. Doch alles atmet noch ein bißchen, und wie noch immer Ehen wider den Zeitgeist geschlossen werden und für manche die Bibel immer noch recht hat, so schleppt sich auch die Alma mater von Semester zu Semester -- zu gesund zum Sterben, zu krank zum Leben.

Am Krankenbett drängen sich 300 000 Studenten, 30 000 wissenschaftliche Mitarbeiter, 7000 Professoren -- lehrend und lernend so gut es noch geht, untereinander und miteinander streitend, uneins über Diagnose und Therapie -- sowie das große Konsilium aller, die auch ein Rezept haben.

Da ist der Wissenschaftsrat, ein angesehenes Gremium von Hochschullehrern, Kulturpolitikern, Industriellen und Ministerialbeamten, das seit 1958 Regierungen wie Hochschulen berät und umfängliche Reformempfehlungen vorlegt -- doch weder Politiker noch Universitäten brauchen sich daran zu halten.

Da ist die Westdeutsche Rektorenkonferenz (WRK), das Forum der Hochschul-Chefs -- zumeist nur reagierend auf das, was andere fordern oder verwerfen; sie hat 73 Plenarversammlungen hinter sich gebracht und denkt vorerst weiter nach über die "Neuordnung der Lehrkörperstruktur".

Da ist der Verband Deutscher Studentenschaften (VDS), der Dachverband deutscher Hochschüler, der früher als staatsbeflissen galt und jetzt wie ein "sozialistischer Kampfverband" auftritt -- heute Reformen verneinend, die er einst erstrebte.

Laut Grundgesetz für Hochschulfragen bisher nicht zuständig, aber auf Mehrung von Kultur-Kompetenzen bedacht: der Bund, dem jetzt vom Parlament eine gewisse Verantwortlichkeit für die "Allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens" übertragen wurde -- doch noch ist ungewiß, wie weit diese Kompetenzen reichen sollen.

Ganz und gar zuständig in Hochschulfragen: die Kultusminister der Länder, die es fast zwei Jahrzehnte lang den Hochschulen überließen, sich selbst zu reformieren und nun, da sich diese Hoffnung als trügerisch erweist, allenthalben Hochschulgesetze planen oder mit Hilfe der Parlamente durchsetzen -- zum Verdruß der auf Eigenständigkeit bedachten Universitäten.

Vernünftiges wie Aberwitziges, Banales wie Hochtrabendes erschallt aus dem dissonanten Chor der Studenten, die dem ehemaligen Stuttgarter Rektor Professur Fritz Leonhardt in ihrer Mehrheit noch immer "viel zu pflichtbewußt und fleißig, aber nicht wagemutig und streitbar genug" vorkommen, in ihren radikalen Minderheiten aber eher streitwütig gegen "reformistische Scheiße" agitieren, die "alte Wissenschaft" für tot erklären und Steine werfen für eine neue Welt.

Progressives wie Reaktionäres, Einsichtiges wie Borniertes ist aus der Schar der Professoren zu vernehmen, die sich in ihrer Mehrheit als reformunfähig oder reform-unwillig erwiesen haben und nunmehr eher hilflos dem studentischen Aufbegehren gegenüberstehen; manche von ihnen glauben noch immer, daß die deutsche Universität -- wie es der Historiker Hermann Heimpel einmal in den fünfziger Jahren ausdrückte -- "in ihrem Kern gesund" sei.

Weiterlesen hier... Wirklich sehr langer Text... und dabei ist der schon gekürzt...